Leonard Kirn studierte in Berlin Medizin und macht derzeit eine Facharztausbildung zum Anästhesisten und Intensivmediziner. Schon während des Studiums fasste er den Entschluss, eines Tages in der humanitären Hilfe mitzuwirken. Ihn beschäftigte die Situation der Geflüchteten, weshalb er entschied, sich ein eigenes Bild von der Lage vor Ort machen zu wollen. Im März war er bereits mit MVI in Athen. Die Erfahrungen, die er dort machte, haben ihn inspiriert und motiviert, im Herbst 2021 wieder in einem MVI Projekt zu unterstützen.

Du warst nun mehrere Wochen als Arzt auf Lesbos, bevor du relativ spontan nach Bosnien gingst. Wie kam es zu dem Ortswechsel?

Auf Lesbos hat sich die Situation in den letzten Monaten verändert: Es kommen kaum noch Geflüchtete an und einige verlassen das Camp, sodass heute “nur noch” rund Zweitausend Geflüchtete aus Lesbos sind – während das Netz an medizinischen Hilfsangeboten durch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) relativ stabil geblieben ist. Das bedeutet, dass nicht mehr so viele Ärzt*innen gebraucht werden wie früher. Gleichzeitig haben wir gesehen, dass sich die Situation in Bosnien zuspitzt, wo es deutlich weniger medizinische Hilfe für Geflüchtete gibt – diese aber dringend gebraucht wird. Unser Vorteil als kleine, dynamische Organisation, ist: Wir können schnell agieren und unsere Arbeit auf die aktuelle Situation anpassen. In diesem Fall wurde ich quasi versetzt und bin mit Fähre und Bus von Lesbos aufgebrochen und wenige Tage später in Velika Kladusa, Bosnien, angekommen.

 

Wie waren für dich die Eindrücke der ersten Tage in Bosnien?
Das klingt vielleicht bizarr: Aber gegen das, was ich hier erlebe, war Lesbos für mich als freiwillig mitarbeitender Arzt fast wie Urlaub. Auf Lesbos gibt es Bars, Strände und einfach Ablenkung. Hier zu arbeiten ist etwas anderes. Die mentale Belastung ist hoch. Die Stadt ist ein sehr trostloser Ort. Es ist kalt und karg. Ich bin eigentlich ein sehr aktiver Mensch, aber hier muss ich mich überwinden, überhaupt rauszugehen.

Velika Kladusa liegt an der Grenze zu Kroatien und damit zur EU-Außengrenze. Überall sieht man die Spuren des Kriegs. Zerbombte Häuser und Ruinen. Anders als auf Lesbos, wo die Geflüchteten in eine Umgebung kommen, wo die Mehrheit der Einheimischen in relativem Wohlstand lebt, sieht man hier überall Armut – nicht nur bei den Geflüchteten. Aber sie trifft es natürlich besonders: Sie leben meist in leerstehenden Häusern und Baracken ohne Strom und Heizung. Sie wärmen sich mit Decken und machen selbst Feuer, um sich warm zu halten. Das ist im Winter, bei teilweise -6 Grad, echt hart. Vor allem wenn man die Kinder hier sieht, das zerreißt mir das Herz. Wenn man dann daran denkt, wie einige Kinder in Deutschland in der Vorweihnachtszeit durchgefüttert werden, ist der Kontrast noch krasser.

Mit wie viel Mitarbeiter*innen seid ihr derzeit im Einsatz?
Momentan haben wir hier nur ein Team bestehend aus der Projektkoordinatorin, einer Krankenschwester und mir als Arzt. Wir haben eigentlich rund um die Uhr Rufbereitschaft. Bei Notfällen fahren wir auch um Mitternacht noch raus. Das verlangt einem schon einiges ab. Aber die Registrierung für die Arbeit in Bosnien hat MVI erst vor kurzem bekommen. Anders als auf Lesbos ist es hier für NGOs zum Teil gefährlicher und schwieriger zu arbeiten. Von Teilen der Gesellschaft und der Polizei ist unsere Arbeit nicht immer gern gesehen. Deshalb arbeiten wir möglichst verdeckt.

Anders als auf Lesbos haben wir hier keine Klinik, sondern versuchen uns wie Touristen zu verhalten. Die Patient*innen besuchen wir mit einem Wanderrucksack voller Medikamente. Wir haben auch ein Auto, mit denen wir einige Fahrten machen. Die Geflüchteten schicken uns über Facebook einen Standort, wenn sie medizinische Hilfe brauchen.

Wie muss man sich die Situation vor Ort vorstellen: Wie sieht das Leben der Geflüchteten aus?
Velika Kladusa ist für viele der letzte Halt vor der EU-Grenze. Eine Stadt, in der sie bleiben und auf den richtigen Moment warten, um wieder einen Versuch über die Grenze zu wagen. Sie nennen die Überquerung der Grenze “The Game”. Das klingt in meinen Ohren etwas irritierend. Aber gemeint ist damit wohl das Spiel mit dem Risiko, das man in Kauf nimmt – man weiß nie, ob man es schafft oder nicht. Viele versuchen es mit dem Bus oder mit der Hilfe von Schmugglern. Wenn sie erwischt werden, nehmen die Grenzbeamten oder Polizist*innen ihnen Handys, Powerbanks und andere Gegenstände weg. Diese werden zerstört und die Geflüchteten irgendwo auf der anderen Seite der Grenze wieder ausgesetzt. Viele kommen nach einem gescheiterten Versuch dann wieder zurück nach Velika Kladusa, bekommen durch die Hilfe von NGOs wieder das nötigste zum Leben – und versuchen es dann wieder von vorne. Wir können die Politik nicht ändern. Aber wir können versuchen, den Geflüchteten die nötigste medizinische Versorgung anzubieten.

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Roja Massoumi 31, ist klinische Psychologin. Sie wuchs in Göttingen auf, studierte in Osnabrück, Graz und Istanbul. Heute koordiniert sie das Mental Health Project für Erwachsene auf Lesbos.

Du warst 2016 das erste Mal als Freiwillige auf Lesbos. Heute bist du Koordinatorin des Mental Health Projects für Erwachsene. Was hat dich motiviert?
Ich bin als Person of Color in einer mehrheitlich Weißen Gesellschaft in Deutschland aufgewachsen. Meine Eltern sind ExiliranerInnen. Sie haben es trotz allen Hindernissen geschafft, uns ein gutes Leben in Deutschland zu ermöglichen. Ich wusste schon früh, dass ich meine Privilegien meinen Eltern zu verdanken habe und ich Glück hatte mit einem deutschen Pass in Sicherheit aufzuwachsen. Aufgrund meiner eigenen Familiengeschichte, wollte ich mein Wissen und Können sinnvoll nutzen – und es mit den Menschen teilen, die dieses Glück nicht haben. 

Euer Hilfsangebot richtet sich gezielt an Männer, die alleine auf der Flucht sind. Warum?
Wir haben erkannt, dass Männer, die alleine geflohen sind, häufig vom System benachteiligt sind. Die meisten sind zwischen 19-28 Jahre alt und werden ihrer Jugend beraubt. Sie erleben häufig Stigmatisierung und Rassismus und werden von grundlegenden Hilfsangeboten ausgeschlossen. Für Familien, Kinder und Frauen wird eher gespendet und sie erhalten mehr konkrete Hilfsangebote und andere Vorteile. Ein Beispiel: Familien im Camp sind inzwischen in kleine Container- die immer noch lebensunwürdig sind- umgezogen. Alleinstehenden Männern hingegen steht diese minimalste Verbesserung der Lebensbedingungen nicht zu. Sie leben immer noch in Gemeinschaftszelten, früher zum Teil mit mehr als 100 anderen Menschen auf engstem Raum, ohne Rückzugsmöglichkeiten.

Seit dem Brand im Flüchtlingscamp Moria im September 2020 sind heute deutlich weniger Menschen in der Erstaufnahme auf Lesbos. Wer lebt heute noch im Camp?
Aufgrund von sogenannten Push Backs werden Menschen illegal und gewaltsam von der Einreise nach Europa gehindert, während Menschen mit Asylbescheid die Insel verlassen. Daher nimmt die Zahl der Campbewohner*innen ab. Es sind vor allem Geflüchtete, deren Asylanträge abgelehnt wurden, die zurückbleiben. Das Asylverfahren lief teilweise ohne Rechtsberatung und augenscheinlich teils unrechtmäßig ab. Vor allem alleinstehende Männer bekommen häufiger eine Ablehnung des Asylantrags. Sie leben hier zum Teil seit zwei, drei oder vier Jahren – manche noch länger. Gleichzeitig sehen sie, wie andere Menschen weiterziehen können. Das ist sehr belastend und steigert ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit. Doch obwohl die Bedingungen hier menschenunwürdig sind und die Situation für viele ausweglos zu sein scheint, ist eine Rückkehr in das Herkunftsland keine Option.

Die meisten eurer Patienten kommen aus Afghanistan. Wie überwindet ihr die Sprachbarrieren?
Das stimmt. 22 der 25 Männer, die wir derzeit einzeln betreuen, kommen aus Afghanistan. Deshalb arbeiten wir eng mit sogenannten ‘cultural mediators’ zusammen. Sie leben teils selbst im Camp und warten auf ihren Asylentscheid. Ohne unsere Kolleg*innen aus der Community, wäre unsere Arbeit undenkbar. Sie helfen uns nicht nur beim Sprach- und Kulturverständnis sondern weisen uns auch auf mögliche Fehler aufgrund unserer eurozentristischen Ausbildung hin. Wir sind derzeit ein Team aus fünf Mitarbeiter*innen, darunter zwei klinische Psychologinnen, ein Mental Health Worker und zwei cultural mediators. 

Wie belastend ist die Corona-Pandemie?
Die Pandemie und der daraus folgende Lockdown haben zu einer deutlichen Steigerung psychischer Beschwerden geführt. Der Zugang zur Impfung ist nicht allen ermöglicht, die Bedingungen im Quarantäne Bereich des Campes sind untragbar, die Menschen sind rassistischen Polizeikontrollen ausgesetzt und werden im camp wie in einem Gefängnis eingesperrt. Während sich Geimpfte in Griechenland weitestgehend frei bewegen können, dürfen die Geflüchteten seit einigen Monaten das Camp nur noch wenige Stunden pro Woche verlassen. Den Rest ihrer Zeit sind sie gezwungen an einem unmenschlichen Ort zu verbringen und werden bewusst vom öffentlichen Leben ausgeschlossen.

Welche Symptome haben die Männer, die euer Gesprächsangebot nutzen?
Die meisten Menschen haben traumatische Erfahrungen in ihrem Herkunftsland gemacht. Sie waren gezwungen vor Konflikten, Kriegen, Verfolgung und Gewalt zu fliehen. Auch auf ihrer Flucht erlebten sie zusätzlich traumatisierende Erlebnisse- in letzter Zeit vermehrt durch gewaltsame illegale Push Backs, Gewalt durch Polizei oder Grenzbeamte. Die potentiell traumatisierenden Erlebnisse hören nach Ankunft jedoch nicht auf. Eine sichere, stabile Umgebung wird ihnen verweigert und sie erleben ‘continuous traumatic stress’. Dadurch haben viele über mehrere Jahre komplexe Traumatisierung erlebt und zeigen teils eine Chronifizierung der Beschwerden.
Natürlich gibt es im Camp eine Vielzahl medizinischer Beschwerden. Aber auch schwerwiegende psychische Beschwerden sind aktuell Normalität. Das äußert sich in Trauma bezogenen Symptomen, in Schlaflosigkeit, in Panikattacken, depressivem Verhalten, extremer Trauer und Hoffnungslosigkeit bis hin zu selbstverletzendem Verhalten und vermehrt Suizidgedanken.

 

Gibt es Patienten, die ihr nicht in das Programm aufnehmt?
Wir versuchen möglichst allen, die zu uns kommen, ein Hilfsangebot zu machen. Menschen, die allerdings aktive Suizidabsichten äußern oder zusätzlich psychiatrische Behandlung benötigen, nehmen wir nicht auf, sondern vermitteln sie an geeignete Partnerorganisationen, die bestenfalls die richtige Hilfe anbieten können.

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Natalie Faddul, 31, ist Ärztin aus Hamburg. Zwölf Jahre lang lebte sie in Berlin, wo sie zuletzt ihre Facharztausbildung für innere Medizin begann – bis es sie nach Griechenland zog. Eigentlich wollte sie nur ein paar Wochen bleiben. Doch nun ist sie seit Mai 2020 im Einsatz für humanitäre Hilfe. 

Als die Pandemie Europa so richtig erreicht hatte und die Menschen vielerorts in den Lockdown gingen, bist du nach Thessaloniki geflogen, um Geflüchtete medizinisch zu versorgen. Wie war das für dich?

Anfangs war es schwierig überhaupt nach Griechenland zu kommen. Die Corona-Pandemie hatte wenige Monate begonnen und dazu geführt, dass Reisen schwierig wurde. Ursprünglich wollte ich nur vier Wochen bleiben. Doch viel Freiwillige konnten ihren Einsatz aufgrund der Pandemie nicht antreten. Deshalb blieb ich dann deutlich länger. Nach einem halben Jahr bekam ich dann die Stelle als medizinische Koordinatorin angeboten und blieb dann noch ein weiteres halbes Jahr in Thessaloniki.

Wie muss man sich humanitäre Hilfe in Zeiten von Corona vorstellen? 

Die Situation in den letzten Jahren hat die Herausforderungen für Menschen auf der Flucht und auch für NGOs vor Ort noch verstärkt. Lange war Thessaloniki für Geflüchtete der erste sichere Ort in Europa. Doch mittlerweile sind einige dort gestrandet, weil sie an innereuropäischen Grenzen zurückgedrängt werden. Viele leben auf der Straße, was auch bedeutet, dass sie beim Lockdown nicht “Zuhause bleiben” können. Oft kamen sie mit einem Strafzettel in der Hand zu uns und sagten, dass sie nun mehrere 100 Euro zahlen müssen, weil sie nachts auf der Straße waren, was natürlich absurd ist. Zudem durften Ungeimpfte einige Zeit lang nirgends in geschlossene Räume – also auch nicht für medizinische Hilfe von NGOs. Uns drohten hohe Strafen. Deshalb wurde die Behandlung für ungeimpfte Patient*innen zum Teil nach draußen verlegt. Auch logistisch ist es eine große Herausforderung: Wir mussten versuchen, Menschenansammlungen im Wartezimmer und vor der Klinik bestenfalls zu verhindern. Deshalb mussten wir mit Terminvergaben arbeiten. Für Geflüchtete ohne Smartphone und What’s App wurde so der Zugang zu Gesundheitsversorgung allerdings zusätzlich erschwert. 

Welche Hilfe könnt ihr leisten – und wo fühlst du dich manchmal machtlos?
In Deutschland macht man viel Diagnostik. Das muss man sich so vorstellen: Wenn ein Patient Hautausschlag hat, würden wir zuerst Proben ins Labor schicken, um zu wissen, ob es etwa ein Pilz oder ein Exem ist. In unseren Projekten in Griechenland ist das oft nicht möglich. Da muss man sich auf sein Gefühl verlassen. Wir behandeln dann erst mit einer Salbe gegen Pilzbefall. Hilft diese nicht, muss man sich etwas anderes überlegen. Gerade im Sommer sehen wir viele wundgelaufene Füße und Entzündungen aufgrund schlechter hygienischer Umstände. Solche Dinge können wir mit geringen Ressourcen gut behandeln. Schwere Fälle überweisen wir an andere Praxen oder Krankenhäuser. Schwierig wird es bei tiefergehender psychologischer Hilfe. Viele sind traumatisiert, haben auf der Flucht oder schon in ihrem Heimatland Gewalt erfahren. Da fehlen leider oft noch die ausreichenden Behandlungsangebote. Wir versuchen – neben der medizinischen Versorgung – immer ein offenes Ohr zu haben, den Patient:innen zuzuhören. Das ist natürlich keine psychologische Behandlung, aber dennoch wird es sehr wertschätzend angenommen.

Du warst nicht nur in Athen und Thessaloniki, sondern auch in Bosnien, dem Libanon und auf der Insel Kios im Einsatz. Wie kommt es, dass du seit fast zwei Jahren in der humanitären Hilfe arbeitest?
Eines Tages humanitäre Hilfe leisten zu können, war für mich einer der Gründe überhaupt Medizin zu studieren. Deshalb war es für mich nur eine Frage der Zeit. Trotz der schlimmen Bedingungen und der zusätzlichen Hürden durch Corona, machte mir die Arbeit von Anfang an irre viel Spaß. Das schöne an MVI ist auch, dass es eine relativ kleine Organisation ist. Man hat viel Raum zum Gestalten und Ausprobieren. Es werden sich alle Ideen für die Weiterentwicklung und Durchführung der Projekte, von jedem und jeder, erst einmal angehört. Dann gucken wir, wie realistisch die Umsetzung ist.

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 Alexandra Osterhues ist Assistenzärztin für Kinder – und Jugendpsychiatrie – und psychotherapie in Hannover. Ihr erster Einsatz mit MVI führte sie nach Lesbos in ein Projekt, das Kindern und Eltern in dieser schwierigen Zeit Halt und psychologische Betreuung bieten soll.

Wie bist du auf MVI aufmerksam geworden?
Ich habe mir schon lange sehr intensiv Gedanken zur Lage Geflüchteter gemacht – über Familien und Kinder, die auf der Flucht sind. Und auch darüber, wie ich helfen kann. Klar, kann man spenden, was ebenso wichtig ist. Das habe ich auch getan. Aber gleichzeitig wusste ich, dass ich als Ärztin auch gerne aktiv unterstützen möchte. Deshalb habe ich mich etwas umgeschaut und bin dann online auf MVI aufmerksam geworden.

Wie war dein Gefühl, bevor du in deinen ersten Einsatz nach Lesbos gegangen bist?
Ich habe über die Lage vor Ort gelesen, habe Videos gesehen. Aber ich hatte keine konkrete Vorstellung davon, wie es sein würde, wirklich da zu sein. Ich war vor meiner Ankunft sehr angespannt und hatte viele Fragen, die mich beschäftigt haben: Werde ich dem gerecht? Habe ich genug Erfahrung? Bekomme ich das hin? Ich war schon oft im Ausland aber Lesbos war etwas anderes.

Und wie war es dann, als du ankamst?
Es war absolut paradox. Auf der einen Seite gab es diese schönen Strände, Bars, Sonnenschein – eine absolute Urlaubsoase. Auf der anderen Seite ist da dieses Camp in dem Tausende Menschen leben, die nichts haben. Zum Teil leben Alleinreisende mit mehr als 100 Menschen in einem Zelt. Das muss man sich erstmal vorstellen, dass solche Dinge in der EU passieren. Der Ort ist sehr authentisch, man sieht das Schöne und das Schlimmste auf engstem Raum. Ich war traurig, enttäuscht und auch wütend darüber, dass wir das einfach so geschehen lassen. Trotzdem begleitete mich anfangs auch eine Ohnmacht und Hilflosigkeit. Ich dachte: Wow, hier bin ich nun und kann nichts machen.

Konntest du wirklich nichts machen?
Doch, ich denke schon. Das anfängliche Gefühl ließ etwa nach einer Woche deutlich nach. Ich hatte für mich irgendwie akzeptiert, dass das nun mal die Umstände sind und ich im Kleinen da helfen muss, wo ich kann.

Worum geht es in dem Projekt, in dem du mitgearbeitet hast?
Wir haben Familien, Eltern und Kinder in Gruppen, aber auch in Einzelgesprächen psychologisch betreut. Die Geflüchteten sind oft frustriert und hilflos, haben Traumatisches erlebt – und tun das noch immer. Viele Kinder sind deshalb aggressiv, haben Albträume, haben aufgehört zu sprechen, verletzen sich selbst, nässen ins Bett. Das sind alles Symptome, die auftreten, weil Kinder unter diesen unwürdigen Bedingungen versuchen müssen zu wachsen. Ich habe sehr verzweifelte Eltern kennengelernt, die zusehen, wie ihre Kinder jeden Tag kränker werden, die nicht wissen, was sie tun können.

Was hast du den Eltern dann geraten?
Die Ohnmacht bei den Eltern ist natürlich groß, sie fühlen sich alleingelassen. Viele wollen einfach nur erzählen und sagen, ihnen habe noch nie jemand so lange zugehört. Das ist dann schon sehr berührend. Ich erklärte ihnen meist, dass ihre Kinder normal sind, aber die Umstände nicht – die sind so krass und so schlimm für Kinder, dass sie wenig Chancen auf eine gesunde Psyche haben. Da hilft es dann Rituale zu etablieren, Momente der Selbstbestimmung zu schaffen, feste Mahlzeiten zusammen einzunehmen, mit den Kindern zu spielen. Das kommt oft zu kurz. Aber Phantasie, Singen, Spielen, Bewegung, über Emotionen zu sprechen – das alles ist essentiell für die Entwicklung von Kindern und schafft kleine Momente von Normalität.

Wie waren die zwischenmenschlichen Begegnungen, die du erfahren hast?
Sehr bewegend. Jede Familie, jede*r Geflüchtete hat seine eigene Geschichte, sein eigenes Schicksal. MVI arbeitet ja ausschließlich mit Übersetzer*innen aus der Community zusammen, also selbst Geflüchteten. Mit ihnen  verbringt man in den Projekten dann viel Zeit. Ich habe eine Frau kennengelernt, die viermal versucht hat, aus der Türkei nach Europa zu kommen. Sie hat mir von ihrer Flucht übers Meer erzählt. Ihnen wurde der Motor geklaut. Zwei Babys haben die Überfahrt nicht geschafft. Seit über drei Jahren lebt sie nun mit ihrer Familie im Camp auf Lesbos. Ihr Mann war in Afghanistan beim Militär. Sie hatten wahnsinnige Angst vor den Taliban. Dennoch wurde ihr Asylantrag bereits vier Mal abgelehnt. Doch trotz all dieser Erfahrungen sagte sie mir: Ich bin jeden Tag froh, es bis hierhin geschafft zu haben und zu wissen, dass meine Kinder morgen noch leben.

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„Wir sollten aufhören, Menschen in die Illegalität zu treiben, die nur versuchen, sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen.“

Kathy James half in Guatemala Häuser zu bauen und versorgte als Krankenschwester bedürftige Menschen in Kenia. Seit 2019 arbeitet sie für den Hamburger Verein, der in Griechenland und Bosnien medizinische Hilfe für Geflüchtete leistet. Mit ihrem Campervan Bonnie und Hund Nyx reist sie zwischen den Standorten hin und her – immer dahin, wo sie gerade gebraucht wird. In ihrer Heimat Großbritannien ließ Kathy dafür Freunde, Familie und die Option auf eine Karriere zurück.

Kathy, wie kam es dazu, dass du heute als Krankenschwester bei Medical Volunteers International (MVI) arbeitest?

Über Couchsurfing habe ich ein Pärchen aus Hamburg kennengelernt, bei denen ich übernachtete. Sie erzählten mir von einem Facebook-Post, in dem MVI verzweifelt nach ausgebildeten Krankenschwestern suchte. Das war im August 2019. Ich bewarb mich sofort.

Es war nicht das erste Mal, dass du dich für eine Menschenrechtsorganisation engagierst. Was treibt dich an?

Schon als Kind wusste ich, dass ich irgendwann Menschen in Notsituationen helfen will. Ich erinnere mich noch heute daran, wie ich die Fotos des Jugoslawienkriegs in der Zeitung sah und dachte: Ich kann es einfach nicht aushalten, wenn Menschen und ihre Rechte verletzt werden.

Derzeit arbeitest du auf Lesbos. Welchen Schicksalen begegnest du dort?

Viele Menschen hier sind in einer verzweifelten Lage. Im Camp müssen sie sich zum Teil mit über 100 anderen Geflüchteten ein Zelt teilen. Die Zelte sind nicht isoliert: Im Sommer wird es extrem heiß, im Winter zieht ein starker, eiskalter Wind vom Meer herüber. Und mittlerweile dürfen die Bewohner:innen das Camp nur noch zweimal in der Woche für drei Stunden verlassen – der vorgeschobene Grund der Behörden: Corona. Doch damit gleicht das Camp eher einem Gefängnis.

Was sind die häufigsten gesundheitlichen Beschwerden?

Viele der Geflüchteten haben mentale Probleme – dass sie das Camp kaum verlassen dürfen, macht ihnen zu schaffen. Außerdem blicken sie immer zu auf den Ozean, den jede*r Einzelne von ihnen überquert hat. Manche haben die Überfahrt nur knapp überlebt und sind von den Erfahrungen traumatisiert. Dazu kommen Hautprobleme, durch die unhygienischen Bedingungen, Rückenschmerzen von den harten Liegeflächen und Atemwegsbeschwerden von den staubigen Böden und dem Qualm vom Kochen. Verbrennungen sind ein großes Problem, weil die Geflüchteten auf engstem Raum kochen oder weil sie Plastikflaschen mit heißem Wasser füllen, um sich warm zu halten.

Du bist die Koordinatorin des Medical Outreach Project auf Lesbos, das vor einem halben Jahr gestartet wurde. Warum saht ihr die Notwendigkeit, ein Projekt außerhalb des Camps durchzuführen?

Insgesamt leben etwa 700 Flüchtlinge auf Lesbos außerhalb des Camps. Auch sie benötigen medizinische Hilfe. Deshalb sind wir sowohl innerhalb als auch außerhalb des Camps tätig. Es gibt verschiedenste Gründe, warum Menschen außerhalb des Camps leben. Einige haben zwei Ablehnungen erhalten und deshalb ihre 10-Tage-Frist zum Verlassen Griechenlands erhalten, sind aber nicht ausgereist, weil sie gefährdet waren. Viele haben einen positiven Asylbescheid erhalten und mussten deshalb das Camp verlassen. Einige sind besonders schutzbedürftig: Sie sind Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt geworden, gehören zum Beispiel der LGBTQI+-Gemeinschaft an und sind daher Diskriminierungen und Übergriffen ausgesetzt, vor denen sie sich im Camp nicht schützen können. Oder sie gehören zu einer kulturellen oder religiösen Minderheit und sind deshalb gefährdet. Einige haben finanzielle Rücklagen oder bekommen etwas Geld von Verwandten. Sie sind deshalb nicht reich, haben aber genug, um sich eine winzige Unterkunft leisten zu können.

Auf was musst du verzichten, um diese Arbeit machen zu können?

Zeit mit Freunden und meiner Familie. Glücklicherweise habe ich mittlerweile fast überall in der Welt Freunde gefunden. Aber meinen Neffen, der im letzten Jahr zur Welt kam, habe ich bisher kaum gesehen. Das bedauere ich schon manchmal. Natürlich habe ich auch einige Karrierechancen in Großbritannien liegen gelassen:
Ich hatte eine gute Stelle im öffentlichen Gesundheitswesen. Aber die warten natürlich auch nicht ewig auf einen. Doch meine Arbeit hier ist es allemal wert, auf eine ‚Karriere‘ zu verzichten.

Was ist deine realistische Utopie von einer gerechteren Welt?

Ich würde mir wünschen, dass alle Menschen faire Asylanträge stellen können – schon in ihren Herkunftsländern. Im Moment ist das in vielen Ländern nicht möglich. Deshalb müssen derzeit viele ihr Leben riskieren, um in Europa Asyl beantragen zu können.
Das System ist ungerecht. Ein erschreckendes und eindrückliches Beispiel dafür ist, dass es nicht ausreicht, beim Asylantrag die Narben auf dem Rücken zu zeigen, wenn man gefoltert wurde. Die meisten Geflüchteten haben jedoch keinen Zugang zu medizinischen Unterlagen, wissen nicht, dass sie diese brauchen und sind ohne die Hilfe von juristischen Hilfsorganisationen völlig unvorbereitet auf ihre Anhörung. Wir sollten aufhören, Menschen in die Illegalität zu treiben, die nur versuchen, sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen.

Vielen Dank, Kathy, für das Interview.

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Nicolai Kissling beendete vor kurzem sein Medizinstudium. Nach seinem Examen entschied der Hamburger, die freie Zeit zu nutzen, um in Thessaloniki einen Monat lang ehrenamtlich zu arbeiten. Er weiß, dass er mit seinem Einsatz nicht alles verändern kann, aber mit seiner medizinischen Ausbildung will er gerne da mit anpacken, wo gerade Hilfe benötigt wird.

Wie kamst du zu der Entscheidung, in Thessaloniki zu helfen?

Ich habe mir den Ort nicht aktiv ausgesucht. Ich saß mit einer Nachbarin auf dem Balkon, die bei MVI mithilft und sie hat mir von der Organisation erzählt. Ich fand Freiwilligenarbeit schon immer wichtig: Die eigenen Fähigkeiten zu teilen, mit denen, die sonst keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben. 2018 habe ich schon einmal in einem Krankenhaus in Tansania gearbeitet, als Teil der ärztlichen Ausbildung. Nun hatte ich frei und dachte mir, dass ich wieder einen Beitrag als Freiwilliger leisten kann und möchte.

 

Du bist erst ein paar Wochen in Thessaloniki im Einsatz. Welches Gefühl begleitet dich abends, wenn du ins Bett gehst?

Unverständnis. Unverständnis und auch Wut darüber, wie unwürdig Menschen behandelt werden und unter welchen Bedingungen sie leben müssen. Es ist eine sehr vulnerable Situation für sie. Ich lerne hier junge, talentierte Menschen kennen, die einfach nur in ihrem Leben durchstarten wollen und hier  in der Asylbürokratie  gefangen sind. Die teils traumatische Erlebnisse auf ihrer Flucht hierher erlebt haben, Die  auch hier  ohne Obdach leben und für die Erfüllung ihrer grundlegendsten Menschenrechte wie Essen und   medizinischer Versorgung auf NGOs angewiesen sind. Menschen, die mit Verletzungen von der Grenze zurückkehren, weil sie bei illegalen “Push Backs” Gewalt erfahren haben. Auch alte Menschen und Familien mit Kindern, Menschen unterschiedlichsten Hintergrundes.

Es ist schlimm zu sehen, wie Menschen mit eigentlich gut behandelbaren Erkrankungen keine Hilfe erfahren, da sie keinen Zugang dazu haben. Der Gedanke: ‘In Deutschland hätte ich jetzt dieses oder jenes angeordnet’ ist sehr frustrierend.

 

Was hast du erwartet, bevor du hierher kamst?

Ich hatte keine konkrete Vorstellung. Doch ich hatte definitiv mehr Vertrauen in die EU als das, was ich jetzt hier erlebe. Mir erschließt sich überhaupt nicht, wie EU-Recht gebrochen werden kann unter dem Vorwand die EU zu “schützen”. Dabei verraten wir doch genau das wofür wir stehen: Respekt vor den Rechten eines jeden Menschen. Trotzdem sind illegale Push Backs an der Tagesordnung.

 

Wie erlebst du die Situation für Geflüchtete in Thessaloniki derzeit?

Ursprünglich war Thessaloniki ein sicherer Ort für Menschen auf der Durchreise, so erzählten es mir Geflüchtete, Freiwillige und Koordinator*innen, die schon länger hier sind. Nach dem Überqueren der türkischen Grenze war es für viele der erse Halt, bevor sie weiterzogen und versuchten weiter nach Westen zu kommen. Die, die können, laufen nun an Thessaloniki vorbei zur nächsten Grenze. Nur noch die, die Halt machen müssen, weil sie medizinische Hilfe brauchen, kommen hierher. Denn Übergriffe rechtsextremen Gruppen  und die Polizeigewalt nimmt zu. Das Leben auf der Straße ist nicht mehr sicher.

 

Was sind die medizinischen Probleme, mit denen die Menschn zu euch kommen?

Früher waren es größtenteils Wunden an den Füßen vom langen Laufen. Das ist im Verhältnis weniger geworden. Aber noch immer immer kommen Menschen mit offenen Füßen zu uns, die zehn oder 15 Tage lang zu Fuß unterwegs waren.Zuhause würde man dem Patienten sagen: Nimm warme Bäder und ruh dich aus. Hier bieten wir Wundversorgung an und versuchen Infektionen zu behandeln solange die Patienten da sind, denn die meisten gehen so schnell es geht weiter. Zu den akuten Beschwerden gibt es mittlerweile viele Menschen, die schon länger in Thessaloniki gestrandet sind und chronische Beschwerden haben. Für diese Patienten mit teils komplexen chronischen Erkrankungen sind wir oft die einzige medizinische Versorgung und agieren wie eine Hausarztpraxis. Das was wir können, behandeln wir selbst. Aber wir schreiben auch Überweisungen für Krankenhäuser und begleiten die Patienten, quasi als ihre “Anwälte”. Denn oft werden sie in dem ohnehin schon überlasteten griechischen Gesundheitssystem abgewiesen. Für undokumentierte Geflüchtete ist es am schwierigsten. Sie haben offiziell keinen Anspruch auf medizinische Versorgung.

 

Welchen Beitrag möchtest du mit deiner Arbeit leisten?

Natürlich bin ich hier, um medizinische Hilfe zu leisten. Doch darüber hinaus will ich den Menschen auf Augenhöhe begegnen, ihnen Zuhören, mir Zeit zu nehmen. Woran ich hier oft denke, ist das Wort “Würde”. Ich finde es wichtig, das die Patient*innen wissen, dass sie als Individuum gesehen werden, nicht als Geflüchtete, nicht als Nummer, nicht als Angehöriger einer Ethnie. Als Mensch. Was wir hier machen ist keine Wohltätigkeit gegenüber Bedürftigen. Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht. Wir helfen hier einfach nur Menschen dabei, zu bekommen, was ihnen schon immer zusteht.

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Ein Jahr nach dem Brand von Moria gibt es kaum noch Aufmerksamkeit für die Menschen dort. Die Asylverfahren wurden beschleunigt – viele Geflüchtete hatten einen negativen Asylbescheid erhalten, sind nun auf griechischem Festland oder untergetaucht. Aufgrund der strikten Grenzkontrollen der Küstenwachen und “illegaler Pushbacks” kommen kaum noch Menschen auf Lesbos an.
Circa 4.000 Menschen leben aber nach wie vor im neuen Camp “Kara Tepe”, die von Medical Volunteers International allgemeinmedizinisch versorgt werden. Amar Mardini ist 31 Jahre alt, Arzt und seit Anfang Mai mit MVI auf Lesbos. Hier berichtet er über die aktuelle Situation. 


Stell dich doch bitte mal kurz vor. 

Mein Name ist Amar Mardini, ich bin 31 Jahre alt und von Beruf Arzt. Ich habe mein Medizinstudium in Marburg absolviert und habe seither an der dortigen Universitätsklinik in der Abteilung für Kardiologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin gearbeitet.

Wie lange bist du bereits auf Lesbos?

Ich bin seit Mai diesen Jahres hier.

Was ist deine Aufgabe vor Ort?

Ich bin als Arzt für die hausärztliche Versorgung der Geflüchteten im Camp Kara Tepe zuständig und seit kurzem zudem der zweite medizinische Koordinator der Medical Volunteers international vor Ort.

Du hast dich vermutlich auf deinen Einsatz vorbereitet und auch eingelesen.
Was hat dich bei deiner Ankunft dennoch überrascht?

Da es sich um meinen ersten Einsatz als ärztlicher Volunteer handelt, habe ich bewusst für einen Ort in Europa entschieden. Während meiner Ausbildung wurde ich vornehmlich in der Notfall- und Intensivmedizin an einer deutschen Universitätsklinik ausgebildet. Mir war bewusst, dass sich diese „High-End-Medizin“ vermutlich deutlich von den vor Ort verfügbaren Möglichkeiten unterscheidet. MVI schickt jedem neuen Volunteer vor der Ankunft einen Leitfaden zu, durch welchen man einen groben Überblick über das bekommt, was einen auf dieser Insel erwartet. Vor Ort stellt man jedoch rasch fest, dass die Herausforderungen einen sehr beanspruchen können. Einfachste diagnostische Untersuchungen und Therapien gestalten sich hier schwierig. So musste ich anfangs zu meinem Erstaunen feststellen, dass die Leitlinien der „Ärzte ohne Grenzen“, welche u.a. für Krisengebiete in Entwicklungsländern konzipiert wurden, auf europäischem Boden zum Einsatz kommen. 

Was war deine Motivation einen derartigen Einsatz zu planen?

Das Thema Flüchtende, Fluchtursachen und Migration hat mich seit einigen Jahren beschäftigt. Letztes Jahr habe ich dann das Buch „Die Schande Europas: Von Flüchtlingen und Menschenrechten“ von Jean Ziegler, Vizepräsident des Beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrats, gelesen.
Ich war entsetzt über die dort beschriebenen Umstände auf der ägäischen Insel. Menschen, die vor Not und Elend flohen und während der Flucht große Strapazen auf sich nahmen, fanden sich bereits lange vor dem Brand in Moria, in einer menschenunwürdigen Lage auf europäischem Boden wieder. 

Die zunehmende Akzeptanz dieser Situation auf europäischem Boden machte mich fassungslos. Es widersprach meinem Bild der Europäischen Union als eine humanitäre Gemeinschaft, welche sich den universellen und unveräußerlichen Menschenrechten verpflichtet und von so vielen Menschen auf der Welt bewundert wird. Ich wollte helfen etwas zu verändern, damit sich diese Erzählung von Europa in den späteren Geschichtsbüchern nicht nur als scheinheiliges Narrativ wiederfindet. Es waren aber auch persönliche Gründe. Mein Vater stammt ursprünglich aus Syrien. Er ist bereits Jahrzehnte vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges nach Deutschland ausgewandert. Wenngleich mich selbst, da in Deutschland geboren und aufgewachsen, bis auf einige wundervolle Kindheits- und Jugenderinnerung während der Schulferien mit dem Herkunftsland meines Vaters wenig verbindet, so habe ich doch durch meinen Vater vermutlich einen tieferen und persönlicheren Einblick in das Leid erfahren, dass dieser verächtliche Bürgerkrieg Verwandten und Bekannten meines Vaters und den Menschen vor Ort und auf der Flucht seit nun mittlerweile einem Jahrzehnt zufügt.

Wie sieht dein „Alltag“ hier aus und wie unterscheidet sich das denn im Wesentlichen von deiner Arbeit in Deutschland?

Während mir in meiner Ausbildung an einer Universitätsklinik sämtliche diagnostische und auch therapeutische Optionen sowie eine interdisziplinäre Expertise zu jeder Zeit offen stand, muss man sich hier auf die Grundlagen einer medizinischen Untersuchung und Behandlung zurückbesinnen. Anamnese, körperliche Untersuchung und einfachste diagnostische Mittel sind alles was einem hier zur Verfügung steht.  Es stellt anfangs eine ziemliche Herausforderung dar, sich wieder auf diese grundlegenden Untersuchungs- und Behandlungsmethoden einzustellen. Trotz der im Vergleich zu Deutschland jüngeren Patientenpopulation, sehen wir aufgrund der widrigen Umstände, in denen die Menschen hier leben, jeden Tag viele PatientInnen. Bauch-, Rücken und Kopfschmerzen sowie übertragbare Krankheiten wie die Krätze sind häufig. Das Lager macht krank, nicht nur körperlich. Viele der Geflüchteten benötigen aufgrund der Erfahrungen in den Heimatländern, der Flucht oder im Lager psychologische Unterstützung. Geschichten über Folter, Gewalt oder sexuelle Misshandlungen sind keine Seltenheit. Symptome einer posttraumatische Belastungsstörungen, Panikattacken bis hin zu psychogenen Krampfanfällen sind alltäglich.

Es gibt jedoch auch erfreuliche Umstände hinsichtlich der internationalen und interdisziplinären Zusammenarbeit. Der stressvolle Alltag in einer deutschen Notaufnahme ist zum Teil von einem Streit zwischen den unterschiedlichen Fachabteilungen geprägt. Der Ton zwischen ChirurgInnen und InternistInnen kann an manchen Tagen sehr rau werden. Als MVI sind wir hier vor Ort für die hausärztliche und teilweise psychologische Versorgung der PatientInnen im Camp zuständig. Wir müssen daher mit allen medizinisch tätigen Akteuren eng zusammenarbeiten. ÄrztInnen und KrankenpflegerInnen aus den verschiedensten Winkeln Europas, wie dem United Kingdom, den Niederlanden, der Schweiz, aus Portugal oder Griechenland bringen ihre unterschiedlichste Expertise in das internationale Team ein. Es wird Hand in Hand und mit einem stets offenen Ohr für Rat zusammengearbeitet. Es ist eine Bereicherung, die teils unterschiedliche Behandlungsansätze zu sehen und zu diskutieren. Für mich ist es ein hoffnungsvolles Zeichen, dass die europäische Gemeinschaft funktioniert und wir eine Lösung gemeinsam finden werden.   

Gibt es Situationen im Umgang mit PatientInnen, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind?

Ja, und zwar ziemlich am Anfang des Einsatzes. Ein junger Mann aus Sierra Leone stellte sich mit Kopfschmerzen vor. Ein typischer Fall im Camp, es ist heiß, das Wasser ist rationiert und die Menschen stehen unter permanentem Stress. Medizinisch kein anspruchsvoller Fall und daher eigentlich schnell zu behandeln. Da wir zu dieser Zeit gut besetzt waren, konnte ich mir jedoch Zeit für den Patienten nehmen. Ich fragte Ihn, wie alt er denn sei und wann er auf Lesbos angekommen ist. Er war 19 Jahre, allein und erst seit einigen Tagen auf der Insel. Es waren nur sehr wenige Menschen aus Sierra Leone im Camp. Er sprach Englisch, was mich freute, da wir daher keinen Übersetzer benötigten. Im Camp fand er jedoch aufgrund der nur schlechten oder mangelnden Englischkenntnisse der Geflüchteten aus anderen Herkunftsländern zum Teil schwer Anschluss. Mir ging in dem Moment durch den Kopf, wie es wohl sein muss als gerade erst erwachsen gewordener Mann nun in einem Camp mit knapp 8.000 unbekannten Menschen leben zu müssen. Ich begann mit 19 Jahren mein Medizinstudium in Marburg und um die Uhrzeit saß ich vermutlich verkatert in einer Vorlesung oder lag, nach einer langen Nacht mit Kommilitonen und neu gewonnen Freunden, noch im Bett. Auf die Frage ob er schon in Kontakt mit einer NGO für Rechtshilfe stehe, antwortete er mit „nein“. Ich zeigte Ihm daraufhin ein Papier mit Kontaktdaten der verschiedenen Rechtshilfe- Organisationen und riet Ihm möglichst umgehend rechtliche Hilfe zu suchen, am besten noch am selben Tag. Der junge Mann, der anfangs noch sehr still und skeptisch meinen Fragen zuhörte, begann nach und nach mehr zu erzählen. Die Kopfschmerzen schienen am Ende unseres Gespräches schon fast ohne Tablette verschwunden gewesen zu sein. Er bedankte sich am Ende unseres Gespräches. Seit Beginn seiner Flucht habe er wenig Hilfe von fremden Menschen bekommen, erzählte er beim Verlassen des Raumes. Er folgte meinen Rat und fand noch vor seinem ersten Interview mit den Behörden eine Organisation, welche Ihn in der Rechtshilfe berät. Er schaut weiterhin ab und an in der Klinik vorbei und erzählt mir das Neuste aus seinem Fall. Die Chancen für eine positive Entscheidung stehen nicht schlecht. Schmerztabletten wegen Kopfschmerzen hat er nur noch einmal benötigt.

Wie würdest du die aktuelle Lage der Geflüchteten auf der Insel beschreiben? 

Als Arzt vermag ich keinen gesamten Überblick über die aktuelle Lage der Geflüchteten abgeben zu können.  Aus medizinischer Sicht handelt es sich nach wie vor um eine sehr prekäre Lage. Obwohl auf europäischen Boden angekommen, ist es nicht möglich, die PatientInnen gemäß medizinischer Leitlinien zu behandeln. Es sind PatientInnen zweiter Klasse. Insbesondere durch die Covid-19-Pandemie stehen uns nur wenig diagnostische Mittel zur Verfügung. Das örtliche Krankenhaus erlaubt nur noch Notfälle, für Termine bei SpezialistInnen warten PatientInnen mehrere Monate. In manchen Fällen sogar, obwohl man als behandelnder Arzt eine abwendbare Ursache der Krankheit vermutet und fürchtet, dass bis zur Abklärung durch die SpezialistInnen die Situation weiter verschlechtern wird oder gar irreversibel geworden ist. Die Schuld allein bei den griechischen Behörden zu suchen ist jedoch falsch. Das Gesundheitssystem in Griechenland war bereits vor 2015 im Zuge der Finanzkrise deutlich strapaziert. Die Versorgung der Tausenden an Geflüchteten ist für ein Gesundheitssystem wie dieses nicht möglich. Es bedarf rasch vor Ort an internationaler Hilfe mit ExpertInnen und SpezialistInnen aus der europäischen Gemeinschaft, um die Lage der Geflüchteten zu ändern. 

Wie hat sich das seit deiner Ankunft verändert?

Als ich den Einsatz auf Lesbos begonnen habe, waren noch knapp 8.000 Menschen im Camp. Mittler- weile sind es deutlich weniger geworden. Für die noch verbliebenen Geflüchteten ist die Situation aussichtsloser geworden. Die meisten haben bereits eine oder zwei Ablehnung ihres Asylverfahrens erhalten, manche sogar schon vier. Die Verzweiflung der Menschen hat zugenommen. Nach einer großen Welle an Ablehnungen und der Androhung auf Abschiebung von der offiziellen Regierungs- behörde sahen wir einen deutlichen Anstieg an Suizidversuchen, teilweise Fälle von erweitertem Suizid von verzweifelten Elternteilen mit Kindern. Es schaffen nur noch wenige Geflüchtete den gefährlichen Wasserweg aus der Türkei nach Griechenland zu überwinden. Durch die illegalen und unmenschlichen Push-back-Methoden, welche sich dank Organisationen wie „Aegean Boat Report“ auf den sozialen Medien wie Facebook gut verfolgen lassen, ist selbst die Ankunft auf der Insel keine Garantie mehr für ein faires Asylverfahren. Männer, Frauen und Kinder werden, obwohl auf europäischen Boden angekommen, wieder auf Schlauchboote vor die türkische Küste gesetzt.

Was können Menschen in Deutschland machen, um zu unterstützen?

Nach dem Feuer in dem alten Camp „Moria“ auf Lesbos kam es zu einer größeren Spendenbereitschaft. Die Lage auf der ägäischen Insel mag sich seit dem Brand etwas geändert haben, jedoch sind die Menschen nicht einfach verschwunden. Zehntausende Menschen sitzen nach wie vor, ohne legale Möglichkeit für Nahrung oder medizinischen Versorgung, in Griechenland fest. Für viele sind die in Griechenland tätigen NGOs die einzige Möglichkeit, um die notwendigsten Dinge des Lebens zu erhalten. Es sollte nicht erst wieder eine große Tragödie passieren müssen, um den Leuten in der Heimat die dramatische Lage vor Ort in das Gedächtnis zu rufen.

Was würdest du dir wünschen? Was sollte sich hier in Griechenland bzw. in Europa verändern?

Zunächst müssen die illegalen und menschenrechtsverletzenden Push-back-Methoden umgehend ein Ende finden. Die Problematik von Geflüchteten und Migration wird national nicht bewältigbar sein. Die Europäischen Union muss sich endlich der Verantwortung stellen. Menschenrechte, im wahrsten Sinne des Wortes über Bord zu werfen, darf nicht die Antwort sein. Die Notwendigkeit von so zahlreichen Nichtregierungsorganisationen auf europäischen Boden, um ein Minimum an Menschenwürde aufrecht zu erhalten ist eine Schande für eine internationale Gemeinschaft wie die Europäische Union. Aufgrund politischen Druckes war es möglich in kürzester Zeit eine neue Grenzkontroll-Organisation zu gründen. Es muss daher ebenfalls möglich sein eine europäische Organisation zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung an den Grenzen der Union zu gründen. Finanzielle Unterstützung allein wird Ländern wie Spanien, Italien oder Griechenland nicht helfen um mit den zunehmenden menschlichen Dramen, die sich an unseren Grenzen abspielen, fertig zu werden. Es benötigt Menschen mit Expertise vor Ort. Ich bin mir sicher, dass zahlreiche KrankenpflegerInnen und ÄrztInnen bereit dazu bereit wären. Sie machen es bereits freiwillig in Ihren wohlverdienten Urlauben und mit Ihrem angesparten Geld.

Worüber wird deiner Ansicht nach zu wenig berichtet?

Von den einzelnen Menschen, die sich auf die Flucht begeben mussten. Durch Framing-Wörter wie Flüchtlingswelle verschwindet das Schicksal des Einzelnen häufig in einer bedrohlich wirkenden Naturgewalt. Durch die Arbeit in der Klinik im Camp, insbesondere durch die zahlreichen Gespräche mit den ÜbersetzerInnen mit denen wir tagtäglich mehrere Stunden in einem Raum verbringen, verschwinden die Unterschiede des vermeintlich Fremden rasch und es zeigen sich die vielen Gemeinsamkeiten. Junge Männer und Frauen, die vor der Flucht studiert haben oder als KrankenpflegerIn oder Handwerker ihren Lebensunterhalt verdient haben und dabei waren sich ein Leben aufzubauen sind nun nicht nur Ihrer Heimat beraubt worden. Sie sind mittlerweile zu Gefangenen auf europäischem Boden geworden, oft ohne Aussicht auf Hoffnung. Vor den Augen dem sehnsüchtig herbeigewünschten Europa so nah, bleibt es unerreichbar für die meisten der Geflüchteten. Und beim Blick zurück, entfaltet sich das Bild des brennenden Heimatlandes, was aus aktuellem Anlass selbst der internationalen Presse nicht entgeht. 

Vielen Dank für das Gespräch.

quaranteam

Corona hat viele Dinge auf den Kopf gestellt, auch den Start unserer Freiwilligen vor Ort. Sie mussten bis vor Kurzem noch in einer unserer Unterkünfte in Quarantäne gehen, bevor es richtig losgehen konnte. In unserer MVI QUARANTEAM Ausgabe stellen wir Neuankömmlinge vor, die aufgrund der Corona-Maßnahmen in Quarantäne sind oder waren und wollen wissen, was und wie sie sich beschäftigen. So bekommen Sie einen persönlichen Eindruck von den tollen Menschen, die wir zu unserem Team zählen dürfen.

In diesem Interview erfahren Sie mehr über die Fabienne, die unser Team als medizinische Koordinatorin in Athen unterstützt.

Was gibt dir im Moment Hoffnung?  

Da ich bereits vor kurzer Zeit als Freiwillige vor Ort war, freue ich mich schon sehr darauf das Team wieder zu sehen.

Während meiner Zeit als Freiwillige hatte ich einen guten Einblick in die Arbeit von MVI. Auch wenn mir bewusst ist, dass sich die allgemeine Situation für Menschen auf der Flucht in Europa in nächster Zeit nicht verbessern wird, habe ich gesehen, wie wir als einzelne Individuen helfen. Selbst wenn wir nur einen kleinen Dienst leisten, ist es doch wichtig, dass jemand für diese Menschen da ist und dass sie eine Anlaufstelle haben.

Ich bin nun sehr gespannt was ich alles als Koordinatorin sehen und lernen werde.

Was war dein bisher schönstes Erlebnis mit dem MVI-Team? 

Ich hatte gefühlt jeden Tag mindestens ein schönes Erlebnis mit dem MVI-Team. Wie soll ich da ein Erlebnis herauspicken? 😉

Wer sind deine wichtigsten Bezugspersonen vor Ort?

Eindeutig Paula, die Projektkoordinatorin in Athen. Sie hat immer ein offenes Ohr wenn man es braucht. Aber genauso unsere ÜbersetzerInnen Saeed, Fereshteh und Abdulkader sind mir sehr ans Herz gewachsen.

Wie hat COVID-19 deinen Blick auf unsere Arbeit verändert?

Durch COVID-19 hat sich die Situation für Menschen auf der Flucht deutlich erschwert. Umso wichtiger ist nun unsere Arbeit. Es ist schön zu sehen, dass es trotz der Reiseschwierigkeiten immer noch so viele motivierte Personen gibt, die willig sind dieses Projekt zu unterstützen.

Mit welcher überraschendem Sache hast du dich/habt ihr euch in der Quarantäne eingedeckt (kein Toilettenpapier)?

Meine Yogamatte. Da ich nicht aus der Wohnung darf, ist es für mich wichtig wenigstens ein paar Kraftübungen oder Yoga machen zu können.

Welchen Hobbys oder welcher Leidenschaft kannst du/könnt ihr gerade nachgehen?

Mit der Triage bin ich doch sehr gut beschäftigt aber es ist auch schön wenn ich mir wieder richtig viel Zeit zum Lesen nehmen kann.

Welcher Gegenstand begleitet dich durch die Quarantäne?
Mein Laptop

Welchen Song hörst du oder ihr aktuell rauf und runter?
Behet Ghol Midam from Mohsen Yeganeh

Worauf freust du dich nach dieser Zeit am meisten?

Das Team kennen zu lernen und Paula wieder zu sehen.

Corona hat Vieles auf den Kopf gestellt, auch den Start unserer Freiwilligen vor Ort. Aktuell müssen sie sich (noch) in einer unserer Unterkünfte in Quarantäne begeben, bevor es richtig losgehen kann. In unserer MVI – QUARANTEAM Edition stellen wir euch Neuankömmlinge vor, die aufgrund von Coronamaßnahmen in Quarantäne sind oder waren und möchten wissen, was und wie sie sich beschäftigen. So bekommt ihr einen persönlichen Eindruck über die großartigen Menschen, die wir zu unserem Team zählen dürfen.

In diesem Interview erfahrt ihr mehr über die Psychologin Brigitte, die unser Children Support Projekt auf Lesbos unterstützen wird – bzw. das auch während der Quarantäne-Zeit bereits vom “home office” macht. 

Was gibt dir im Moment Hoffnung?

Die Erfahrung, dass es hier so viele Menschen gibt, die so engagiert und mit Freude hier hilfreich tätig sind, um den Menschen, die hier unter so schrecklichen Bedingungen leben müssen, wieder ihre Zuversicht und Würde zurückzugeben. Und dass ich von vielen lieben Menschen, innerlich so liebevoll begleitet und ermutigt werde. In einem Wort: to encourage.

Was war dein bisher schönstes Erlebnis mit dem MVI-Team?  

Ich bin noch nicht lange in dem Team, trotzdem habe ich schon erstaunlich viele schöne Erlebnisse. Unter anderem die sympathische Hilfe von Verena in Hamburg und von Carlotta, meine Psychologin-Kollegin, die mich schon seit 3 Wochen per Zoom, Whats-App und nun in Person so herzlich begleitet und einweist. Die hilfreichen Vorabsprachen mit Carlotta und einem weiteren Kollegen per Zoom sowie die Unterstützung von KollegInnen, die auch in Quarantäne sind.

Wie hat COVID-19 deinen Blick auf unsere Arbeit verändert?  

Die Arbeit hier vor Ort wurde vermutlich schon durch die Pandemie deutlich erschwert. Vor allem für die Menschen im Camp hat sich die Lage ganz bestimmt durch die Ausgangsbeschränkungen und die erschwerten Bedingungen schon noch deutlich verschlechtert. Ich finde es umso erfreulicher und hoffnungsfroh, dass MVI und andere NGOs sich trotz COVID-19 nicht unterkriegen lassen und trotzdem mit aller Kraft hier vor Ort versuchen zu helfen; bei gleichzeitiger Vorsicht und Achtsamkeit.

Und ganz persönlich, merke ich, dass diese Zeit des „Oster-Retreats, wie ich sie nenne (statt Quarantäne oder Zwangspause ?), mir auch behilflich ist, hier gut anzukommen und gut mit mir verbunden mich auf die neuen Herausforderungen in Ruhe vorbereiten zu können.

In Bezug auf unsere Arbeit hier vor Ort, können wir den Quarantänebestimmungen sogar  „dankbar sein“: Wenn es uns gelingt, während der Quarantäne „unsere Geschwindigkeit“ etwas „herunterzufahren“ und wir zur Ruhe kommen, in dieser Zeit neue Energie tanken, dann kann es für unsere nachfolgende Arbeit hier nur hilfreich sein: HelferInnen mit beruhigtem Nervensystem können vermutlich in bedächtigem Tempo und heilsamer oder einfühlsamer auf Menschen zugehen, die unter hohem Stress und hoher Anspannung stehen. Und wir selbst haben mehr Spielraum, das Schwere, das uns hier begegnen wird, zu verarbeiten.

Macht gemeinsam jeweils drei wahre „Wir“-Aussagen. Zum Beispiel: „Wir sind beide in diesem Raum und fühlen…“ oder “Wir sind beider der Meinung dass…”: 

Also WIR, mein Zitronenbaum und ich  sprechen viel miteinander; (deutsch, oberösterreichisch,englisch,griechisch lern ich von ihm/ihr).“ „Wir machen die Erfahrung, dass er/sie mich Vieles lehrt: Er/sie „stupst“ mich an, wenn ich zu wenig achtsam bin und er/sie lehrt mich tiefe Dankbarkeit.“ „Wir sind beide der Meinung, dass die griechische Sonne uns gut tut“. „Und ganz im Geheimen glaube ich, dass Zitronenbaum eine SIE ist ?.

Mit welcher überraschenden Sache hast du dich/habt ihr euch in der Quarantäne eingedeckt (kein Toilettenpapier)?  

Mit Zitronen. Und dass mir österreichische gute Feen was Stärkendes dazu vor den Gartenzaun gestellt haben, war eine besondere Überraschung. Und dass der Osterhase auch hier vorbeigekommen ist und mir ein Osternesterl versteckt hat – gefüllt mit Schokolade und Osterkeksen aus Österreich und vielen kleinen Überraschungen. Der österreichische Osterhase scheint ein Abkommen mit dem griechischen Osterhasen zu haben. ?

Welchen Hobbys oder welcher Leidenschaft kannst du/könnt ihr gerade nachgehen?

Tanzen, singen, lesen, meditieren, stricken, schlafen, Yoga, schreiben, Englisch lernen, im Kontakt meiner Family und FreundInnen sein, Musik hören. Und mich zur Vorbereitung mit psychologischen Themen (traumatisierte Menschen, Kinder, Resilienz,) intensiv auseinanderzusetzen.

Welche Gemeinsamkeiten habt ihr in Quarantäne entdeckt?  

Mein Zitronenbaum und ich sind sehr gerne in der Sonne. 

Welches Problem würdest du gerne als nächstes lösen?

Meine vorbereiteten Powerpoints (für Elterngruppen) in hilfreiche englische Arbeitsmaterialien zu verwandeln; 

Welcher Gegenstand begleitet dich durch die Quarantäne?

Mein Schreibheft und eine kleine Trommel, ein Schlüsselanhänger-Glücksbringer.

Welchen Song hörst du oder ihr aktuell rauf und runter?  

„Absolute beginners“ von David Bowie; wir dürfen jederzeit und überall neu anfangen. „Gabrielas Song“, der davon handelt, dass jeder Mensch stark und frei ist. Ich möchte, dass alle Menschen, die hier festgehalten werden, ihre Würde und Ihre Freiheit zurückbekommen und es eine hoffnungsvolle Zukunft gibt, in Freiheit. Oder „Morning has broken“ von good old Cat Stevens

Worauf freust du dich nach dieser Zeit am meisten?

Alle KollegInnen persönlich kennenzulernen und gemeinsam zu arbeiten.

Quaranteam Medical Volunteers

Corona hat vieles auf den Kopf gestellt, auch den Start unserer Freiwilligen vor Ort. Aktuell müssen sie sich (noch) in einer unserer Unterkünfte in Quarantäne begeben, bevor es richtig loslegen kann. In unserer MVI – QUARANTEAM Edition stellen wir euch Neuankömmlinge vor, die aufgrund von Coronamaßnahmen in Quarantäne sind oder waren und möchten wissen, was und wie sie sich beschäftigen. So bekommt ihr einen persönlichen Eindruck über die großartigen Menschen, die wir zu unserem Team zählen dürfen.

In diesem Interview erfahrt ihr mehr über Carl, Paul und Thomas, die unser Team in Athen unterstützen werden. Carl ist dabei als Kameramann im Sondereinsatz und wird die Arbeit unseres Teams begleiten. Paul verstärkt als Arzt und Thomas als Krankenpfleger die medizinische Betreuung.

Was gibt dir im Moment Hoffnung?

Carl: Der Balkon im Apartment ist mein Fenster zur Welt. Ich weiß, in vier Tagen darf ich raus und endlich den Orangensaft im Kiosk gegenüber trinken, da schaue ich jetzt schon drei Tagen drauf.

Paul: Das heutige Gerichtsurteil in Münster. Das gab zwei Asylsuchenden Recht erneut in Deutschland Asylstatus zu beantragen, obwohl diese bereits in Griechenland genehmigt wurde. Das Gericht hat die Situation der Geflüchteten in Griechenland, so wie wir auch, als menschenunwürdig empfunden. 

Thomas: Zu wissen, dass Menschen aus verschiedenen Ländern immer noch herkommen, um anderen Menschen unentgeltlich zu helfen, weil sie glauben, dass es wichtig ist.

Was war dein bisher schönstes Erlebnis mit dem MVI Team? 

Carl: Es ist mein erstes Mal mit MVI, aber allein die Tatsache, dass sie mir als Filmemacher erlaubt haben mit zu kommen, zeigt ihr großes Herz. 

Paul: Miterleben, dass MVI trotz aller Limitierungen und erschwerten Verhältnissen viele Anliegen verschiedenen Patienten lösen kann. 

Thomas: Patienten in die Krankenhäuser zu begleiten und ihnen zu helfen. Ich habe mich zu etwas gezwungen, von dem ich nie dachte, dass ich dazu fähig wäre. Ich verlasse meine Komfortzone.

Wer ist deine wichtigste Bezugsperson vor Ort?

Carl: Paula via WhatsApp. Aber nicht-virtuell, Paul und Thomas. Sonst würde ich durchdrehen, glaube ich. 

Paul: Gleiche Antwort wie Carl.

Thomas: Gleiche Antwort wie Paul und Carl.

Wie hat COVID-19 deine Bereitschaft zu helfen verändert?

Carl: Verändert nicht, vergrößert wahrscheinlich. Jetzt mehr denn je, muss die Geschichte erzählt werden.  

Paul: Mein Wunsch medizinische Hilfe zu leisten, war vor der Pandemie auch schon groß, aber mir fehlte noch das Fachwissen.

Thomas: Hat es aber nicht. Und vermutlich ist es jetzt wichtiger denn je.

Welches Hobby oder welche Leidenschaft teilt ihr?

Carl: Ein Bierchen trinken und über Gott und die Welt quatschen.

Paul: Workout in dem kleinen Raum zwischen Bett und Wand. 

Thomas: Kochen.

Macht gemeinsam jeweils drei wahre „Wir“-Aussagen. Zum Beispiel: „Wir sind beide in diesem Raum und fühlen…“ oder “Wir sind beide der Meinung, dass…”

Carl: Wir wollen allen, die es benötigen, helfen. Egal auf welcher Art. 

Paul: Wir arbeiten lieber mit dem Menschen als mit Computern.

Thomas: Wir alle genießen gerne ein schönes Glas Wein auf dem Balkon.

Mit welcher überraschenden Sache hast du dich / habt ihr euch in der Quarantäne eingedeckt (außer Toilettenpapier)?

Carl: Griechische Oliven.

Paul: Haribo.

Thomas: Griechischer Joghurt.

Welche Gemeinsamkeiten oder Hobbys habt ihr entdeckt?

Carl: Alle lieben meine Kamera.

Paul: Kochen.

Thomas: Die Liebe zur Teletriage.

Welches Problem – entweder Ihres oder ein globales – würden Sie gerne lösen?

Carl: Der nervige Hund im Flur, der die ganze Nacht bellt.

Paul: Warte … gibt es ein Problem?

Thomas: Das Heizungsproblem in unserer Wohnung.

Welcher Gegenstand begleitet dich durch die Quarantäne?

Carl: Meine Kamera.

Paul: Meine Musikbox.

Thomas: Mein Handy.

Welchen Song hörst du oder ihr aktuell rauf und runter?

Carl: Sirtaki / Zorba’s dance (Official Video) – Ansamblul Dionisos.

Paul: Udo Juergens – Griechischer Wein.

Thomas: 1,2, Polizei.

Worauf freust du dich nach dieser Zeit am meisten?

Carl: Endlich mal etwas anderes filmen als die vier Wände des Apartments.

Paul: In den Aryos Park gehen.

Thomas: Durch die Stadt spazieren.