“Ich wollte schon immer humanitäre Hilfe leisten”

 

Natalie Faddul, 31, ist Ärztin aus Hamburg. Zwölf Jahre lang lebte sie in Berlin, wo sie zuletzt ihre Facharztausbildung für innere Medizin begann – bis es sie nach Griechenland zog. Eigentlich wollte sie nur ein paar Wochen bleiben. Doch nun ist sie seit Mai 2020 im Einsatz für humanitäre Hilfe. 

Als die Pandemie Europa so richtig erreicht hatte und die Menschen vielerorts in den Lockdown gingen, bist du nach Thessaloniki geflogen, um Geflüchtete medizinisch zu versorgen. Wie war das für dich?

Anfangs war es schwierig überhaupt nach Griechenland zu kommen. Die Corona-Pandemie hatte wenige Monate begonnen und dazu geführt, dass Reisen schwierig wurde. Ursprünglich wollte ich nur vier Wochen bleiben. Doch viel Freiwillige konnten ihren Einsatz aufgrund der Pandemie nicht antreten. Deshalb blieb ich dann deutlich länger. Nach einem halben Jahr bekam ich dann die Stelle als medizinische Koordinatorin angeboten und blieb dann noch ein weiteres halbes Jahr in Thessaloniki.

Wie muss man sich humanitäre Hilfe in Zeiten von Corona vorstellen? 

Die Situation in den letzten Jahren hat die Herausforderungen für Menschen auf der Flucht und auch für NGOs vor Ort noch verstärkt. Lange war Thessaloniki für Geflüchtete der erste sichere Ort in Europa. Doch mittlerweile sind einige dort gestrandet, weil sie an innereuropäischen Grenzen zurückgedrängt werden. Viele leben auf der Straße, was auch bedeutet, dass sie beim Lockdown nicht “Zuhause bleiben” können. Oft kamen sie mit einem Strafzettel in der Hand zu uns und sagten, dass sie nun mehrere 100 Euro zahlen müssen, weil sie nachts auf der Straße waren, was natürlich absurd ist. Zudem durften Ungeimpfte einige Zeit lang nirgends in geschlossene Räume – also auch nicht für medizinische Hilfe von NGOs. Uns drohten hohe Strafen. Deshalb wurde die Behandlung für ungeimpfte Patient*innen zum Teil nach draußen verlegt. Auch logistisch ist es eine große Herausforderung: Wir mussten versuchen, Menschenansammlungen im Wartezimmer und vor der Klinik bestenfalls zu verhindern. Deshalb mussten wir mit Terminvergaben arbeiten. Für Geflüchtete ohne Smartphone und What’s App wurde so der Zugang zu Gesundheitsversorgung allerdings zusätzlich erschwert. 

Welche Hilfe könnt ihr leisten – und wo fühlst du dich manchmal machtlos?
In Deutschland macht man viel Diagnostik. Das muss man sich so vorstellen: Wenn ein Patient Hautausschlag hat, würden wir zuerst Proben ins Labor schicken, um zu wissen, ob es etwa ein Pilz oder ein Exem ist. In unseren Projekten in Griechenland ist das oft nicht möglich. Da muss man sich auf sein Gefühl verlassen. Wir behandeln dann erst mit einer Salbe gegen Pilzbefall. Hilft diese nicht, muss man sich etwas anderes überlegen. Gerade im Sommer sehen wir viele wundgelaufene Füße und Entzündungen aufgrund schlechter hygienischer Umstände. Solche Dinge können wir mit geringen Ressourcen gut behandeln. Schwere Fälle überweisen wir an andere Praxen oder Krankenhäuser. Schwierig wird es bei tiefergehender psychologischer Hilfe. Viele sind traumatisiert, haben auf der Flucht oder schon in ihrem Heimatland Gewalt erfahren. Da fehlen leider oft noch die ausreichenden Behandlungsangebote. Wir versuchen – neben der medizinischen Versorgung – immer ein offenes Ohr zu haben, den Patient:innen zuzuhören. Das ist natürlich keine psychologische Behandlung, aber dennoch wird es sehr wertschätzend angenommen.

Du warst nicht nur in Athen und Thessaloniki, sondern auch in Bosnien, dem Libanon und auf der Insel Kios im Einsatz. Wie kommt es, dass du seit fast zwei Jahren in der humanitären Hilfe arbeitest?
Eines Tages humanitäre Hilfe leisten zu können, war für mich einer der Gründe überhaupt Medizin zu studieren. Deshalb war es für mich nur eine Frage der Zeit. Trotz der schlimmen Bedingungen und der zusätzlichen Hürden durch Corona, machte mir die Arbeit von Anfang an irre viel Spaß. Das schöne an MVI ist auch, dass es eine relativ kleine Organisation ist. Man hat viel Raum zum Gestalten und Ausprobieren. Es werden sich alle Ideen für die Weiterentwicklung und Durchführung der Projekte, von jedem und jeder, erst einmal angehört. Dann gucken wir, wie realistisch die Umsetzung ist.

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