MVI leistet humanitäre Hilfe. Die NGO arbeitet an drei Standorten in Griechenland mit Freiwilligen, Ärzten, Pflegern, Übersetzern, um Flüchtlinge medizinisch zu versorgen. Vor allem Flüchtlinge, die sich illegal dort aufhalten und deshalb keinen Zugang zum Gesundheitswesen haben, werden durch MVI versorgt. Aber wie läuft die Arbeit konkret ab? Mit welchen Schwierigkeiten haben die Volunteers zu kämpfen? Und wo findet die Versorgung statt? Kai Wittstock, Team-Koordinator und Gründungsmitglied von „Medical Volunteers International“ (MVI) hat darauf geantwortet:

Kai Wittstock (Gründer und Freiwilligen-Koordinator)

Welche Hilfe bietet  MVI an?

Wir helfen mit medizinischer Versorgung Flüchtlingen in Griechenland, die dort keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben. Genau arbeiten wir zur Zeit in drei Orten: In Athen, Thessaloniki und auf Lesbos.

Was genau macht „Medical Volunteers International“ an den einzelnen Standorten?

In Thessaloniki haben wir eine sogenannte Car Park Clinic, wo wir mit unserem Rettungswagen hinfahren und am Tag etwa 100-200 Menschen behandeln. Das sind Menschen, die sich in Griechenland nicht registrieren lassen wollen. Das heißt: Sie können zu keinem griechischen Arzt gehen.

Viele Menschen halten sich also illegal dort auf?

Ja, und müssen ja trotzdem medizinisch versorgt werden. Wir leisten einfach humanitäre Hilfe. Wir betreuen aber auch mit Zustimmung des griechischen Gesundheitsministeriums im Diavata- Camp, einem Lager mit ca. 2000 Menschen. Dort behandeln wir mit einem griechischen Arzt zusammen in einem Container.

Seit kurzem haben wir auch eine eigene Klinik mit zwei Behandlungsräumen. Eine NGO aus der Schweiz besorgt das Essen. So läuft die Zusammenarbeit. Unsere Freiwilligen sind ziemlich begeistert darüber.

Was sind das für Räume, die ihr nutzen könnt und von wem bekommt ihr die?

In Athen zum Beispiel haben wir aktuell 12 „Kliniken“, in besetzten Häusern und besetzten Schulen. Wir stellen auch Ärztinnen, Ärzte und Pflegepersonal ab für andere NGOs, die eigene Behandlungsräume haben. Zusätzlich fahren wir 2 mal die Woche in Camps in der Umgebung. Zum Beispiel in ein Camp, in dem zur Zeit etwa 2000 Menschen leben müssen, vornehmlich Frauen und Kinder. Dort behandeln wir die Flüchtlinge in einem Community-Center einer Amerikanerin, weil wir dort keinen direkten Zugang zum Camp haben. Zusätzlich fahren wir in den Süden Athens, wo wir 3 Camps haben, in denen es auch keine medizinische Versorgung von griechischer Seite gibt.

Behandlungsräume in besetzten, leer stehenden Häusern?

Wer in Griechenland war, weiß, dass da etwa jedes 10. Gebäude leer steht. Über die griechischen Inseln und auch über die Türkei kommen viele Menschen, die dann in den Städten in Parks leben. Und dort kümmern sich Aktivisten um sie und geben ihnen Unterkunft in leeren Schulen oder in diesen leer stehenden Gebäuden.

Oft passiert das unter Duldung des griechischen Besitzers oder der griechischen Behörden. Die wissen, dass es gar keine Alternative gibt! Man darf die Probleme der Griechen ja auch nicht unterschätzen. Ein Beispiel: In Athen gibt es eine besetzte Schule, die von 200 Menschen bewohnt wird – und das schon seit zwei Jahren.

Kaum vorstellbar, dass in „zweckentfremdeten“ Wohnungen behandelt werden kann?

Wir haben Fälle, in denen Menschen wegen Erfrierungen die Zehen abgenommen werden müssen. Das wird natürlich im Krankenhaus gemacht – aber nicht mehr die Nachbehandlung. Das übernehmen dann wir. Wir besorgen auch Wohnungen: Denn wenn jemand gerade an der Hüfte operiert wurde, kann er nicht in einem besetzten Haus in den 3. Stock klettern.

Das sind alles Einzelschicksale, bei denen wir vor Ort entscheiden müssen, weil das natürlich alles Geld kostet. Es passiert auch, dass für Flüchtlingskinder eine Schule zur Verfügung gestellt wird, aber nur unter der Bedingung, dass alle Kinder untersucht werden, um ein Gesundheitszeugnis zu bekommen. In dem Fall hat MVI das übernommen, hat 200 Kinder untersucht, Impfungen vorgenommen und die Impfpässe ausgestellt.

Das zeichnet uns aus: Wir sind sehr flexibel und extrem gut in Griechenland vernetzt. Wenn Hilfe gebraucht wird, sind wir da!

Und das kann wahrscheinlich jeden Tag etwas anderes sein.

Manchmal kommen in Thessaloniki Züge nachts um drei Uhr an, in denen 200 Menschen, gestrandet über die Türkei, ankommen. Die haben gar nichts! Nichts. Da fahren wir dann hin und geben mit Partnerorganisationen Kleidung und Essen aus und versorgen mit Medikamenten.

Die Zustände in Griechenland lassen also keine staatliche Versorgung zu?

Ein Beispiel: In Athen sind wir selbst im Zentrum in einem kleinen Häuschen, in dem wir griechische Obdachlose betreuen. Die haben zwar Zugang zum Gesundheitssystem, aber müssen Verbände usw. selbst bezahlen – das können die aber nicht.

MVI bietet aber aus Spendenmitteln Medikamente und Verbandsmaterial. Das gilt für alle unsere Standorte. Kurz: Auch mit Zugang zum Gesundheitssystem können es sich viele Kranke nicht leisten, zum Arzt zu gehen!

Die Sprachen der Flüchtlinge sind sicher ein Problem bei der Versorgung. Griechisch oder Englisch werden die wenigsten sprechen…

…klar. Deshalb müssen wir mit Übersetzern zusammenarbeiten. Wir haben zur Zeit einen arabischen, einen kurdischen und einen Farsi-Übersetzer, weil unsere Ärzte sonst nichts verstehen würden. Um wenigstens ein Taschengeld zu zahlen für deren Arbeit, brauchen wir auch dringend Spenden.

Wieso ist das Thema „illegaler Aufenthalt“ nicht zu beheben?

Auf der einen Seite wollen viele sich nicht registrieren lassen, da durch die Dublin II-Verordnung eine Registrierung bedeuten würde, nicht mehr „weiter“ zu kommen. Und die Hoffnung ist für viele,  noch nach Nordeuropa zu gelangen.

Auf der anderen Seite sind es viele Afghanis, Pakistanis oder Nordafrikaner, die gar nicht anerkannt werden können…

…das betrifft gerade auf Lesbos im „Moria-Camp“ besonders viele…

…die überhaupt keinen Status besitzen. Insbesondere auf Lesbos ist das tatsächlich der Fall. Die Griechen wissen dort nicht, wie sie damit umgehen sollen. Sie möchten die Menschen nicht aufs Festland bringen und erwarten Lösungen von der EU. Es gibt wirklich katastrophale Zustände, das kann man ja mittlerweile auch der deutschen Presse entnehmen.

Was macht MVI dort?

Wir leisten humanitäre Hilfe! Wir helfen denen, die keinen Zugang haben, die gar nichts haben. Auch kein Essen und keine Kleidung.

Dort haben wir 2 Behandlungsräume. Die Überlastung im Moria-Camp ist extrem! Da haben medizinische Helfer 2-3 Minuten Zeit für einen Patienten. Viele der komplizierteren Fälle kommen dann zu uns. Dort arbeiten wir übrigens mit einer schweizerischen NGO zusammen.

Was wird denn am meisten gebraucht? Geld-Spenden, Geräte, Medikamente?

Bei 800 Patienten in der Woche, also ungefähr 3-3500 Patienten im Monat sind das vor allem Medikamente. Darüber hinaus sind wir die einzigen, die sich um chronische Fälle kümmern. Zum Beispiel Epilepsie – und das ist teuer.

Wir müssen das Team mobil halten: Wir haben einen Rettungswagen in Thessaloniki, wir haben einen Leihwagen auf Lesbos. In Athen brauchen wir Autos, um zu den Camps zu kommen. Das kostet Geld für Versicherungen, Benzin, Reparaturen usw. Und wie gesagt brauchen wir Spenden-Geld für die Übersetzer, die mehrere Tage in der Woche mitgehen.

Und es wäre sehr toll, wenn wir unseren dauerhaften Koordinatoren vor Ort und in Hamburg mittelfristig eine Entschädigung für ihre zeitaufwendige Arbeit geben könnten. Die arbeiten zum Teil Vollzeit für das Projekt und müssen zur Zeit noch privat Geld sammeln, um leben zu können.

Den Kern der Arbeit leisten die vielen Freiwilligen, die Volunteers. Kannst du diese Arbeit zum Schluss kurz beschreiben?

Es ist ein unglaublich flexibles Arbeiten. Team-Arbeit. Und nicht immer einfach, wie man es sich vorstellen kann. Aber auch, das sagen mir immer wieder die Freiwilligen, eine wichtige, bereichernde Erfahrung. Auch übrigens, was die Pflege betrifft. Zum Beispiel für Studenten, die mit Ärzten zusammenarbeiten, ist es eine unglaublich gute Praxis-Ausbildung.

Wie sind ja total international: Ein Team besteht meist aus 8 Leuten, die aus verschiedenen Ländern kommen, man lernt also auch unterschiedliche Behandlungsmethoden.

Aber am besten ist vielleicht diese Beschreibung: Eine englische Ärztin hat mir einmal gesagt, als ich sie nach ihren Erfahrungen gefragt habe: „Every day a new challenge“.

Das ist es.

Das Interview führte Patrick Thielen am 20.03.2019