Infokampagne 2024
Jeder Mensch hat Zugang zu medizinischer Versorgung?
… denkste!
Menschen haben, unabhängig von ihrem Herkunftsstatus, ein fundamentales Recht auf medizinische Versorgung, so wie es in verschiedenen internationalen Menschenrechtsabkommen verankert ist. Der tatsächliche Zugang zu diesem Recht kann jedoch von Land zu Land und je nach spezifischer Situation erheblich variieren.
In unserer täglichen Praxis erleben wir immer wieder, dass der Zugang zu medizinischer Versorgung zwar für alle gewährleistet sein sollte, dies in der Realität jedoch nicht der Fall ist. Im Folgenden möchten wir Beispiele aus unseren Projekten in Deutschland, Griechenland, Bulgarien und Bosnien teilen, die diese Herausforderungen verdeutlichen.
Deutschland
In Deutschland regelt das Sozialgesetzbuch (SGB) V, dass die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen dem medizinischen Bedarf entsprechen sollen. [1] In der Wirklichkeit zeigt sich ein anderes Bild: Obwohl die Gesetzeslage theoretisch allen Personen den Zugang zu notwendiger medizinischer Behandlung ermöglicht, wird vielen Menschen, insbesondere Obdachlosen und Personen ohne Aufenthaltsstatus, der Zugang zur Gesundheitsversorgung häufig verwehrt. [2]
Asylsuchende, die in Deutschland ein Asylverfahren beantragen, haben in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts nur eingeschränkten Zugang zu medizinischen Leistungen gemäß dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Nach § 4 des AsylbLG erhalten sie in dieser Zeit lediglich Behandlungen für akute Erkrankungen oder Schmerzen, bei Schwangerschaft und Geburt sowie Impfungen. [3]
Die Versorgung bei chronischen Krankheiten, Pflegebedürftigkeit und Behinderungen muss gesondert beim Sozialamt beantragt werden und ist auf das Notwendigste zur Sicherung der Gesundheit beschränkt. [4]
Zusätzlich gibt es erhebliche Kritik an der eingeschränkten Gesundheitsversorgung, insbesondere im Bereich der psychosozialen Betreuung. So konnten „Lediglich 3,1 Prozent des psychosozialen Versorgungsbedarfs (…) im Jahr 2022 gedeckt werden.“ [5]
Wobei der Bedarf sehr groß ist, wie die Zahlen des psychosozialen Versorgungsberichts 2024 der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) zeigen. Darin heißt es: „87 Prozent aller geflüchteten Menschen in Deutschland haben potenziell traumatisierende Ereignisse wie Krieg, Verfolgung oder Zwangsrekrutierung erlebt. Rund 30 Prozent sind von depressiven Erkrankungen oder einer Posttraumatischen Belastungsstörung betroffen. Inwiefern Gewalterlebnisse zu einer Traumafolgestörung führen, hängt stark von den Lebensbedingungen nach der Flucht ab.“ [6]
Diese Defizite verdeutlichen die Diskrepanz zwischen den rechtlichen Rahmenbedingungen und dem tatsächlichen Zugang des Rechts auf Gesundheitsversorgung in Deutschland.
Griechenland
In der griechischen Verfassung wird das Recht auf Gesundheit in Artikel 21 verankert, wodurch der Staat verpflichtet ist, die Gesundheit der Bürger:innen zu schützen und eine angemessene medizinische Versorgung sicherzustellen. Griechenland hat zudem den UN-Sozialpakt unterzeichnet und ratifiziert, dies beinhaltet die Verpflichtung zur Wahrung des Rechts auf Gesundheit. Trotz dieser rechtlichen Rahmenbedingungen gibt es erhebliche Ressourcen- und Kapazitätsengpässe im öffentlichen Gesundheitssektor, die den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen für alle Bevölkerungsgruppen, einschließlich People on the Move, beeinträchtigen.
Das Asylgesetz von 2020 zielt, genau wie die darauf folgenden Änderungen und Anpassungen der Gesetze, darauf ab, die (Asyl-)Verfahren zu beschleunigen und zu optimieren. Es beinhaltet Maßnahmen, wie die Einführung vorläufiger Sozialversicherungs- und Gesundheitsfürsorgenummern für Asylbewerber:innen, um den Zugang zur Gesundheitsfürsorge in der Theorie zu erleichtern. In der Realität gibt es jedoch Einschränkungen im Zugang zur Gesundheitsversorgung für Flüchtende in Griechenland aufgrund von restriktiven Asylverfahren und
politischen Entscheidungen. Insbesondere ist die Versorgungslage in den offiziellen griechischen Camps unzureichend. Neben staatlich verursachten Lücken, wie die Pause in der medizinischen Versorgung in den Camps seit Juli 2024, sind auch die Überbelegungen ebendieser katastrophal. [7]
Bulgarien
Die Situation für Menschen auf der Flucht in Bulgarien ist besorgniserregend, insbesondere im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung. Theoretisch haben dort Flüchtende Anspruch auf eine grundlegende medizinische Versorgung, die von der bulgarischen Regierung während der Überprüfung ihres Status‘ bereitgestellt werden muss. In der Praxis erleben jedoch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs), darunter auch wir, dass medizinische Konsultationen und Behandlungen häufig auf die bloße Verabreichung von Schmerzmitteln beschränkt sind. Auch herrscht oft eine ablehnende Haltung gegenüber den Patient:innen vor.
Während des laufenden Asylverfahrens dürfen diese Personen zudem nicht arbeiten und sehen sich daher erheblichen finanziellen Engpässen gegenüber.
Sobald das Asylverfahren abgeschlossen ist, zieht sich die Regierung aus der Kostenübernahme für die Krankenversicherung zurück. Die Versorgung ist dann ausschließlich auf eine Notfallversorgung beschränkt, die nur in akuten und lebensbedrohlichen Fällen bereitgestellt wird.
Insgesamt ist die Lage für Menschen auf der Flucht in Bulgarien alarmierend und erfordert dringend Aufmerksamkeit und Unterstützung, um sicherzustellen, dass ihre grundlegenden Gesundheitsbedürfnisse angemessen erfüllt werden. Dies belegt auch die Aussage des niedersächsischen Flüchtlingsrats zur Situation Flüchtender in Bulgarien im September 2024: „Die Minimalstandards für menschenwürdige Aufnahmebedingungen, medizinische Versorgung und Sicherheit werden in Harmanli (Flüchtlingscamp in Bulgarien) nicht eingehalten.“ [8]
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Quellen:
[1] Bundesrepublik Deutschland. Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). 20. Dezember 1988.
[online] https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/BJNR024820988.html [abgerufen am 22.09.2024].
[2] taz. Deutsches Gesundheitssystem: Zwei Klassen und kein Ende. Veröffentlicht am 26. Februar 2023. [online] https://taz.de/Deutsches-Gesundheitssystem/!5918575/ [abgerufen am 22.09.2024].
[3] Bundesrepublik Deutschland. Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). [online] https://www.buzer.de/4_AsylbLG.htm [abgerufen am 22.09.2024].
[4] PRO ASYL. (2023). #GesundheitFürAlle – Schluss mit der diskriminierenden Gesundheitsversorgung von Geflüchteten! [online] https://www.proasyl.de/news/gesundheitfueralle-schluss-mit-der-diskriminierenden-gesundheitsversorgung-von-gefluechteten/ [abgerufen am 01.10.2024].
[5] BAfF: Flucht und Gewalt. Psychosozialer Versorgungsbericht 2024. [online] https://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2024/06/BAfF_VB2024_web_01.pdf S. 72 [abgerufen am 2.10.2024].
[6] BAfF: Flucht und Gewalt. Psychosozialer Versorgungsbericht 2024. [online] https://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2024/06/BAfF_VB2024_web_01.pdf [abgerufen am 2.10.24].
[7] Taz. (2023). Geflüchtetencamps in Griechenland: Einblicke in die aktuelle Lage. [online] https://taz.de/Gefluechtetencamps-in-Griechenland/!6022264/ [abgerufen am 29.09.2024].
[8] Flüchtlingsrat Niedersachsen. (2023). Schrecken und Perspektiven im deutschen Abschiebeland Bulgarien: Erster Bericht von einer Recherchereise. [online] https://www.nds-fluerat.org/60524/aktuelles/schrecken-und-perspektiven-im-deutschen-abschiebeland-bulgarien-erster-bericht-von-einer-recherchereise/ [abgerufen am 03.10.2024].
Weitere Quellen:
Deutsches Ärzteblatt. (2024). Ärzte und Psychotherapeuten kritisieren Einschränkung der Gesundheitsversorgung für Asylbewerber. [online] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/148835/Aerzte-und-Psychotherapeuten-kritisieren-Einschraenkung-der-Gesundheitsversorgung-fuer-Asylbewerber [abgerufen am 03.10.2024].
Bundesärztekammer. (9. Dezember 2022). Recht auf medizinische Versorgung muss staatlich garantiert werden. [online] https://www.bundesaerztekammer.de/presse/aktuelles/detail/recht-auf-medizinische-versorgung-muss-staatlich-garantiert-werden [abgerufen am 03.10.2024].
Bulgaria News. (2024). Advocacy Report May & June 2024. [online] https://medical-volunteers.org/AdvocacyReportBulgaria_May-June2024.pdf
Frahm, J. (2024, 21. Juli). Geflüchtetencamps in Griechenland: Hilfe lässt auf sich warten. TAZ Verlags- und Vertriebs GmbH. [online] https://taz.de/Gefluechtetencamps-in-Griechenland/!6022264/ [abgerufen am 24.09.2024].